ISBN 978-3-940209-06-1 Taschenbuch 353 Seiten Preis: 16,90 €
erschienen im NOEL-Verlag, www.noel-verlag.de
Kam und kommt man noch heute irgendwohin im deutschen Land und sagt: "Ich bin aus Breslau", heißt es oft: "Ach, Sie sind eine Breslauer Lerge?"
Autorin Magdalena Hönisch-Tunk erinnert sich an die "Breslauer Lerge", die zu Hause nicht stubenfein war, an ihre Kindheit und Jugend, aber auch an den schmerzlichen Abschied und den Aufbruch in eine kalte fremde Welt. Sie erinnert sich an ihre Wanderung durch das Sudeten-, das Egerland, an Schlafen auf Stroh, Pilzesuchen, Kartoffelpuffer auf der Herdplatte backen, alles ohne Salz, aber mit Zucker... bis sie nach 9 Monaten im Allgäu wieder in einem Bett schlafen konnte... ...an eine Zeit, in der zwischen Kempten und Isny eine bewachte Grenze war, die sie zur Arbeit nur auf Schleichwegen mit dem Fahrrad überwinden konnte.
Es ist der Autorin vorzüglich gelungen, den Leser mit diesem mitreißenden zeitgeschichtlichen Bericht voller Abenteuer und Ereignisse zu begeistern und zu fesseln, ihn manchmal zum Weinen und oft genug zum Lachen zu bringen.
Weitere 43 positive „Echos“ auf das Buch können Sie auf der Gästeseite der Homepage von Frau Hönisch-Tunk
Jutta Laios: Sie haben mit Ihrem Buch "Lerge,Lerge"bestimmt vielen Breslauern und Schlesiern eine große Freude bereitet. Sie haben uns an Ihrem Leben in Breslau, Ihrer Flucht und Ihrem weiteren Lebensweg teilnehmen lassen und Sie haben so geschrieben, wie sich das Leben vieler Flüchtlinge in Wirklichkeit abgespielt hat. Ihr Buch hat mir sehr gut gefallen, ich sehe es auch als eine Liebeserklärung an unsere Heimatstadt Breslau . Danke für Ihr Buch, Sie haben mir aus dem Herzen geschrieben und ich bin beim Lesen in Gedanken durch unser Breslau spaziert und das war für mich eine große Freude.
Renate Haertl: Ihr Buch ist wirklich unterhaltsam geschrieben und vermittelt einen lebhaften Eindruck von Ihrer Kindheit und Jugend, den Erschwernissen der Zeit die ja besonders hart waren. Trotzdem, oder vielleicht deshalb, berührt doch auch der Humor in Ihren Erlebnissen und das "im besten Sinne" Vorwärtsschauen.
Rudolf Schwarz: Der Buchtitel war´s, der mich neugierig machte: "Lerge, Lerge ..." - ja, es wurde Zeit, daß dieses Buch erschienen ist! Es ist der Autorin gelungen, die dramatischen Ereignisse in den Tagen vor ihrer Flucht und am letzten Tag in unserer gemeinsamen Heimatstadt Breslau und die Erlebnisse voller Strapazen, auf ihrem langen Weg ins Allgäu, zu einem ehrlichen Bericht zusammen zu fassen; verbunden mit vielen Rückblicken, wurde ein Buch daraus. Ich habe beim Lesen oft zurück geblättert und viele Texte mehrmals gelesen, um Zusammenhänge besser zu erfassen. Es gibt sicher nur noch wenige Zeitzeugen, die persönliche Erinnerungen an die letzten Tage in Breslau haben und das gleiche Schicksal wie die Autorin erlebten: Die eigene Flucht aus Breslau! Danke Frau Hönisch, daß Sie das alles aufgeschrieben haben. Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, daß noch viele Leser Ihr Buch lesen, es aus der Hand legen und so wie ich sagen werden: "Schade ... hätte gern noch weiter gelesen!"
Horst Jacobowsky: Dein Buch hat uns sehr großes "Lesevergnügen" bereitet. Das sollte nicht nur jeder Breslauer, jeder Schlesier sondern auch alle diejenigen lesen, die meinen, die Vertriebenen seien "Ewig-Gestrige". Nach allem was Du erlebt hast, erfolgt die richtige Konsequenz aus der Tragödie von Krieg und Vertreibung. "Nie wieder Krieg, jedes Volk muss seine Schuld bekennen und nie wieder dürfen solche Katastrophen durch Hass, Neid und "Großmannssucht" ausgelöst werden". Wir wünschen, dass Dein Buch viele Menschen kaufen,lesen und Deine Antworten leben. Alles Gute. Erika und Horst Jacobowky.
Franz Nowak: Wer an einem ehrlich geschriebenen, sehr persönlichen Bericht über Erfahrungen eines Breslauer Flüchtlingsmädchens interessiert ist, liegt bei "Lerge, Lerge ..." richtig. Der Leser erfährt, wie eine im Januar 1945 geflüchtete 19-jährige viele Stationen durchlaufen muss, bis der Fluchtweg im Oktober 1945 im Allgäu endet, wie sie sich in diesen Monaten und danach bis zur Währungsreform 1948 mit den damals bei ihr und den Leidensgenossen das Leben beherrschenden elementaren Problemen wie Hunger, Wohnung, Heizung, Bekleidung und Arbeitsstelle couragiert auseinandersetzt. Niederlagen muss auch sie einstecken. Aber die Autorin steht immer wieder auf. Und zwischen der Schilderung des Tagesgeschehens blickt sie ab und zu in ihre Kindheit und Jugend in einer nicht auf Rosen gebetteten Breslauer Familie zurück. Allen Widrigkeiten zum Trotz, die die Autorin erlebt und erlitten hat, spricht aus ihren Zeilen eine positive Grundhaltung. Auch der Humor mit einem Schuss Erotik kommt nicht zu kurz. Mich hat das Buch jedenfalls gefesselt. Ich las die 350 Seiten an zwei aufeinander folgenden Abenden. Wären mir die Augen nicht zugefallen, hätte ich es bereits am ersten Abend nicht vor der Schlussseite aus der Hand gelegt.
Leseprobe zum Buch „Lerge, Lerge, das war eine Zeit…“ ISBN: 978-3-940209-09-1
Die letzten Tage zu Hause
Irene überraschte uns mit einer ihrer wundervollen Ideen. Es war in der zweiten Adventswoche 1944. Alles war noch ziemlich ruhig. Nur die russische Front rückte bedrohlich nahe. Um 20 Uhr im Südpark, Endstation der Straßenbahnlinie 2, trafen wir uns, etwa zwanzig Mädels, Führerinnen und Anwärterinnen des Ringes elf in Breslau. Es war kalt und alles rundum verschneit. Wir wanderten zu zweit hintereinander und sangen etwas verhalten das Lied, das wie kein anderes hierher passte: „Durch den Schnee, der leise fällt, wandern wir, wandern wir, durch die weite weiße Welt ...“, einen Waldweg entlang. Vor uns tauchte eine Lichtung auf. Wir standen wie verzaubert still, nur das Herzklopfen war zu hören. In mir sang und klang etwas, es war so schön wie in einem Wintermärchen. Im Vordergrund stand ein tief verschneiter, einzelner Baum mit brennenden Kerzen geschmückt. Sie beleuchteten den Hintergrund mit hohen Tannen, die da standen, als wollten sie nur diesem einen Baum und uns ihre Referenz erweisen. Über uns ein nachtblauer Himmel mit unzähligen Sternen. Wir traten im Halbkreis an „unseren“ Weihnachtsbaum heran. Irene und Lieselotte, die diesen Abend mit gestalteten, spielten Flöte und wir sangen leise:
„Hohe Nacht der klaren Sterne, die wie weite Brücken steh'n über eine tiefe Ferne, drüber unsre Herzen geh’n.“
Irene las eine Weihnachtsgeschichte vom Frieden auf der Welt, den wir alle so sehr ersehnten. Anschließend die 2. Strophe:
„Hohe Nacht der hellen Feuer, die auf allen Bergen sind. Heut' soll sich die Erd' erneuern, wie ein jung geboren Kind.“
Es war ein Augenblick in meinem Leben, den man sich wünschte anhalten zu können. Feierlich, und das in einer Gemeinschaft verbunden zu erleben, in der alle gleich fühlten und empfanden. Andächtig und schweigend gingen wir zurück. Noch heute, nach fünf Jahrzehnten, klingt ein Glöckchen tief in mir, wenn ich daran zurückdenke. Charlotte, meine Gruppenführerin, begleitete mich wie immer nach Hause. Sie fühlte sich verantwortlich, nachdem sich in unserem Gässchen, genauer gesagt in unserem Hauseingang einmal eine merkwürdige Gestalt aufgehalten hatte. Ich wohnte in einer kleinen, schmalen Gasse, die sich mit dem wohlklingenden Namen „Freiheitsgasse“ schmückte. Gerade so viel oder so wenig war den Menschen die Freiheit wert. Diese Gasse lag zwischen der Gartenstraße, einer Hauptgeschäftsstraße mit einem Feinkostgeschäft, Hotels, einem Variete, Filmpalästen und Cafes und der Springerstraße mit dem Bahndamm. Bis Breslau war es den Bombern der Alliierten zu weit und Russland besaß nicht so viele Flugzeuge. Aus diesem Grund war Breslau bis Januar 1945 ziemlich von Luftangriffen verschont geblieben. Deshalb konnte man es sich leisten den Bahndamm auf der Springerstraße und die Gartenstraße schwach zu beleuchten. Im Krieg lag ganz Deutschland, ja fast ganz Europa in völliger Finsternis.
…wie es weitergeht, können Sie im Buch erfahren!
Eigene 4 Wände mit Garten blieben immer nur ein Traum!
Das Wohnen war von Anfang an ein Problem für mich. Mein Mann hatte überhaupt kein Interesse an einem gemütlichen Heim. Am liebsten war er unterwegs und wenn möglich jeden Tag woanders. Ganz gleich mit was. Ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, später mit dem Motorroller, dem Motorrad, dem Auto und im Zelt und Wohnwagen. Alles haben wir durchlebt und durch litten. Deshalb war es auch meine Aufgabe, eine Wohnung zu besorgen. Ihm hätte eine Einzimmerwohnung gereicht. Aber als unsere kleine Tochter 6 Jahre nach unserer Hochzeit ganz unerwartet auf die Welt kam, wurde es doch zu eng. Ich glaubte natürlich, dass sich das im Laufe der Zeit abschwächen würde. Aber ich wurde enttäuscht. Heute ist er schon eine Weile nicht mehr berufstätig und immer stundenlang und tagelang nicht zu Hause. Nur sein Bett besucht er jede Nacht. Erst mit 60 Jahren hat ihm, zu meinem Leidwesen, ein Mechaniker gesagt, dass er mit seinem alten Führerschein von 1952 jeden "HEISSEN OFEN" fahren darf, da gab es kein Halten mehr. Eine BMW 850, die seine Herzallerliebste wurde, ist immer mit ihm zusammen auf Fahrt. Sein größter Kummer ist, dass es mir einfach zu heiß im Hintern ist, auf so einem Ofen. Nun das wollte ich eigentlich nur am Rande erzählen.
Als Heimatvertriebene aus Schlesien, zu jung für einen Lastenausgleich und arm wie die Kirchenmäuse, war es sehr schwer eine Wohnung zu finden. Deshalb waren wir 3, unsere Tochter war inzwischen 6 Jahre alt, 1965 überglücklich, dass uns die Hausbesitzer in diesem schönen Altbau in Stuttgarts Süden zwischen der Alten- und Neuen Weinsteige, doch noch genommen hatten. Es war rund herum grün. Im Osten ein Spielplatz, im Süden Gärten, die vom Liegenschaftsamt vergeben waren. Eigentlich wollten sie ja nur ein schwäbisches Ehepaar. Sie hatten Mitleid mit der Kleinen, da unsere Teilwohnung von der anderen Partei mit vier ständig wechselnden Barmusikern, mehr als beklagenswert war. Das alte Ehepaar war über 80 Jahre alt und ich übernahm für sie die geheiligte „Schwäbische Kehrwoche" und die Treppe zu putzen. Das Treppenhaus, der Spiegel eines Hauses und so hatte es auszusehen. Für alle Nichtschwaben sei gesagt, dass seiner Zeit, es ist jetzt ein wenig besser geworden, das schon eine echte Aufgabe war. Die Treppe wurde 1 Mal in der Woche gewachst und jeden Tag gemoppt und geblockt. Genau so wurde auch die Straße blitz blank gefegt. Manchmal besonders im Herbst war das schon ein vergebliches Unterfangen. War es nass, klebten die Blätter der Ahornbäume und ihre Nasen fest auf dem Pflaster. Mit viel Mühe schaffte man es doch für eine halbe Stunde. Dann blies der Wind neue Blätter und Nasen herunter und ich durfte trotzdem bis zum nächsten Tag warten. Das war die Ordnung! Einmal am Tage reicht. Noch schöner war es wenn der Sturmwind heftig beide Backen voll nahm und man meinte er saust vor lauter Übermut von einem Baum zum andern und pustet und bläst. Kaum hat man ein Häufchen zusammen gefegt, da machte sich der Bursche den Spaß und huiiii sah es genau so aus wie am Anfang. Aber auch hier haben unsere Schwaobeleut ein Einsehen. Haben wir und auch sie selbst, einmal den Besen geschwungen, war der Ordnung Genüge getan! Es sei denn wir kamen vor lauter Blätter nicht mehr zur Haustür herein. Uns gefiel es in diesem Haus mit den hohen luftigen Räumen. Das Wohnzimmer hatte einen Erker und wenn man in der Dunkelstunde kein Licht machte, meinte man in einem Schlösschen zu wohnen. Wie oft haben wir in der Vorweihnachtszeit so gesessen, Pfefferkuchen geknappert und Geschichten erzählt. 104 Ecken hatte dieses Erkerfenster. Also innen und außen 208 zum Putzen, aber schön war er doch. Es zog zwar mächtig, aber es war sehr romantisch und ja auch nicht immer Winter. Im Sommer war er der reinste Blumengarten. Ich brachte einmal von Neapel einen Zweig Myrte mit, stellte sie im Töpfchen ans Fenster nach Osten, nach 3 Jahren hatte sie so viele Blüten, dass man kaum noch ein grünes Blättchen sah. Sie hat sich buchstäblich zu Tode geblüht. Im Südfenster pflanzte ich, auch von einem Campingplatz, einen Ableger einer Passionsblume ein und es dauerte nicht lange, nahmen ihre Ranken das ganze kleine Erkerfenster für sich in Anspruch. Auch sie hatte viele Blüten, aber leider zeigen sie ihren wunderschönen Schmuck nur 24 Stunden.
Es hieß, dass der Enkelsohn einmal dieses Haus erben würde und ein wenig haben wir befürchtet, dass er es dann auch verkaufen werde. Zumal uns das seine Mutter, Frau Eck auch bestätigte. Nun die Zeit verging, leider starb seine Mutter viel zu früh, der alte Herr erfreute sich bester Gesundheit. Es kam eine Haushälterin, die uns alle in Schwung hielt. Wehe, wenn wir auch nur wenige Minuten später als 7 Uhr dem Schnee im Winter die Chance ließen, noch eine Weile auf unserer Straße auszuruhen. Nein da stand sie schon selbstlos da und weg musste er. Mit dem Finger streifte sie an den Leisten entlang und läutete bei den jungen Frauen, „so sieht euer Treppenhaus aus." Gott Lob, mich verschonte sie damit. Aber ihre Liebenswürdigkeit war schon umwerfend. So lief sie dem Briefträger entgegen und brachte mir die Post persönlich 20 Minuten eher. Sie läutete jeden Tag viele Jahre hindurch gegen 9 Uhr um mich zu fragen, „kann ich ihnen etwas mitbringen?" und ich sagte immer „nein danke, das ist sehr freundlich." So lebten wir in Frieden und meinem Mann war das ganz Recht. Für ihn war es wichtig, dass er jeden Tag zum Essen nach Hause kommen konnte und er seine Freizeit mit uns zusammen im Zelt heute hier und morgen dort, Zelt auf - Zelt ab in aller Lande überall und nirgends genießen durfte.
So sind wir am 26. Juli 1969 mit einem neuen VW 1600 und einem Zelt in einen Urlaub aufgebrochen, der so anstrengend war, das ich mich erst Weihnachten davon erholt habe. Die Campingplätze waren in: Lindau, Chur, Mailand, Florenz, Rom, Neapel. Von hier aus musste mein Mann 10 Tage nach Hause fahren und für seinen Chef, einen Dachdecker die Monatsabrechnungen machen. Damit er es nicht so weit hat, schlugen wir ihm vor mit bis zum Gardasee zu kommen. Unsere Tochter und ich blieben dort und er fuhr heim. Wir bekamen die „Gardasee-Krankheit", die bekommt man hier immer, sagten die alten Hasen, aber es geht schnell vorüber. Als mein Mann wieder kam und davon hörte, brach er am nächsten Tag noch einmal nach Neapel auf, er wollte noch so gern nach Capri. Damals waren wir so leichtsinnig und parkten unser neues Auto direkt in der Nähe des Hafens in einer bewohnten Gasse. Ich weiß nicht welcher gute Geist uns beschützte, es stand genau so da, wie wir es hingestellt hatten. Das war auch wunderschön. Das reichte unserm Vater aber nicht. Wir fuhren im Stiefel Italiens quer rüber über öde Berglandschaft nach Bari und über Manfredonia, Zapponeta, Rimini, Mailand, St. Moritz und Lindau wieder nach Hause. Wir beide durften ihm nicht einmal helfen beim Auf- und Abbau des kleinen Zeltes, nein wir schauten ihm zu und die Nachbarn lächelten.
Dass er es so nahe in seine Firma hatte, war für mich sehr vorteilhaft, so hatte ich 30 Jahre immer ein Auto zu meiner Verfügung und damals gab es noch genügend Parkplätze. So oft ich auch darauf hinwies, „wir sollten doch einmal beginnen unsere Wohnung zu verschönern, hieß es immer „und wenn wir fertig sind, dürfen wir ausziehen!" Wir wohnten Hochparterre, es war kühl im Wohnzimmer, das nach Osten lag und in dem 8 m langen Gang, der nur ein Meter breit war. Die Wohnküche mit dem Küchenbad, das Kinderzimmer und das Schlafzimmer lagen nach Süden. Diese Räume waren bedeutend wärmer und wenn die Sonne schien war es wunderschön. An der Küche war noch eine Glasveranda nach Westen. Dort war unsere Essecke. Die Tochter wurde älter, ich bemühte mich um ein Garten- grundstück neben dem Haus und bekam es auch. Der Enkelsohn unseres Hauswirtes studierte mittlerweile Medizin und klingelte eines Tages an unserer Tür. „Bitte liebe Frau Hönisch" sagte er „erzählen sie doch nicht immer, ich würde mal das Haus verkaufen. Es ist mein Elternhaus und ich werde es immer behalten. Sie können beruhigt sein und hier alt werden, wenn es ihnen gefällt." Das war eine Nachricht, die mich besonders freute. Jetzt hatte mein lieber Mann keine Ausrede mehr. Ganz erstaunlich, was er für Aktivitäten entwickelte und doch keinen einzigen Urlaubstag dafür verschwendete. Alles wurde nach Feierabend, der erst um 19.00, Uhr anbrach erarbeitet. Wir tapezierten neu und klebten an die Wände Styropor zum Isolieren. Er zog in alle Räume, auch in die kleinsten, nur nicht im Wohnzimmer Holzdecken ein, um die Wohnung wärmer zu bekommen. Mein Mann, ein wahrer Holzwurm, so nannten ihn die Nachbarn bald, zerlegte unser schönes Schlafzimmer in alle Einzelteile und baute sie von Wand zu Wand in mühevoller Kleinarbeit ohne Maschinen wieder auf. Er brauchte dazu ein ganzes Jahr, in dem die Betten im Erker standen. Er war der Meinung für ein Leben lang lohne sich das schon. Der lange Gang bekam einen Bogen, es sah bezaubernd aus. Kam man zur Türe herein, war ein kleiner breiterer Vorplatz, der hoch blieb und dahinter war die Decke herunter gezogen, die der Torbogen mit einem Vorhang abteilte. Jeder, der kam, war begeistert, was man damit verändert hatte. Die ganze Wohnung bekam Atmosphäre, nicht zuletzt mit den schönen Teppichböden. Sogar auf der Glasveranda und in der kleinen Speisekammer war jetzt alles tipp topp. Nirgends war es mehr feucht, weil wir alles isoliert hatten. In der Küche haben wir selbst Schränke von Wand zu Wand eingebaut, deren Holztüren meine Aufgabe war. Lackieren und fein schmirgeln und das 8 Mal, es sah gut aus. Die weißen Türen und Fenster hatte ich sowieso schon alle gespachtelt, gestrichen und lackiert. Ich habe insgesamt 750g Spachtelmasse verstrichen, denn die alten Türen hatten noch von den Druckwellen der Bomben riesige Risse. Von meinem, im Garten erarbeiteten Haushaltsgeld habe ich sogar eine neue Küchentür, weil die alte die schlechteste in der ganzen Wohnung war, machen lassen. So sah alles aus, als unser ALTER HERR uns auch noch neue Fenster bescherte. Schade, ich hatte sie erst so schön gestrichen, nun ging es wieder los. um für ihn zu sparen, habe ich einige davon selbst lackiert. Ich habe eine ruhige Hand und hätte mir damit mein Geld verdienen können. So groß und schön, wie die alten waren sie nicht mehr, aber dafür dichter. Das bedeutete, es war wärmer und die Abgase blieben draußen.
So war ich im Haus und Garten zwar aktiv, meine zwei Lieben wurden zum Mittagessen verwöhnt mit frischem Gemüsesaft, nie etwas aus der Büchse und zum Nachtisch immer Kaffee und Kuchen. Aber dennoch, ist man Hierzulande eine „Faule Sau", wenn man nicht ins Geschäft geht. Damit konnte ich leben. So kam, wie es gekommen ist. Aus unserem Student ist ein wirklich guter Arzt geworden, der auch unser Hausarzt wurde. Er hatte ein echtes und gutes Herz für seine Patienten und half wo er nur konnte. Seine Praxis war immer voll. Er hatte geheiratet, nannte 3 gesunde Kinder sein Eigen und seine schöne junge Frau half in schriftlichen Sachen mit. Inzwischen war unser Hausbesitzer 98 Jahre alt und nach einem langen erlebnisreichen Leben und bester Gesundheit, sah es so aus, dass es ganz bald zu Ende geht. Er war noch ein alter Patriarch, für ihn war es selbstverständlich, dass wir uns in seinem Haus unter seiner Verantwortung wohl fühlten und das alles seine Ordnung hatte. Einen Tag vor seinem Tod war ich ihn ein letztes Mal besuchen. Das war ein Erlebnis das mir noch heute unter die Haut geht. Er lag auf der Couch, ich setzte mich zu ihm, er nahm meine Hand und so saßen wir schweigend und ich spürte eine feierliche Stille. Ich konnte den unsichtbaren Gast fast körperlich wahrnehmen, der da schon am Ende des Lagers stand. Das war so schön, so voller Harmonie und Einklang. Es hätte mich nicht gewundert, wäre leise Musik zu hören gewesen. Am liebsten wäre ich so sitzen geblieben, bis es zu Ende war. Aber da kam seine Haushälterin herein, bückte sich nahe an sein Gesicht und sagte sehr laut und schrill, „das ist die Frau Hönisch, Herr Eisele erkennen Sie, sie noch?". Der Zauber war gebrochen und der Todesengel machte erschrocken wohl einen kleinen Flug ums Haus herum. Ich ging traurig mit dem Gedanken, dass er uns verlassen wird. Wie oft habe ich ihm zugehört, wenn er von seiner Jugend und seiner Zeit als Bürgermeister erzählt hat. Zunächst ging alles weiter seinen Gang.
Die junge Frau Eck übernahm die Hausverwaltung. Musste man bisher die Miete persönlich bringen, gab es bei diesem Besuch ein gutes Gespräch und eine Tafel Schokolade, wurde ab jetzt natürlich das Geld überwiesen. Es änderte sich erst, als 1986 ein Lager, das sich unter unserer Wohnung befand leer wurde und es an eine Möbelrestaurationsfirma vermietet wurde. Eigentlich stellte sich heraus, dass es keine Firma war, sondern junge Leute, die das nach Feierabend und Samstag und Sonntag nebenher machten. Das bedeutete für uns Klopfen, Hämmern und Gestank an allen Tageszeiten bis 22.00 Uhr. Wenn ich in meiner Küche die Gasflamme anzündete gab es eine Mischung von Dämpfen, die mir ziemlich giftig vorkamen. Wir ahnten schon, auf was das alles hinwies und ich meldete mich vorsorglich in einer Siedlungsgesellschaft als Wohnungssuchende an. Wie gut das war, wurde bald Gewissheit. Es war die Zeit der Wohnungsumwandlungen in Eigentumswohnungen angebrochen. Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, wurde unser Haus an einen Makler verkauft. Unsere junge Frau Eck wollte halt lieber eine Ferienwohnung am Lago Magiore, als sich mit dem alten Kasten, der immer wieder feucht wurde zu belasten. Die Ferienwohnung hat sie immer noch und dass sie ihren Mann damit zum Wortbrecher machte, war für sie sicher nicht wichtig. Wir standen nun schon arm da. Mehrere Tausende DM hatten wir in die Wohnung gesteckt, in der wir uns, ich war inzwischen 60, im Alter gut aufgehoben glaubten. Hätte ich gewusst, dass wir vor die Wahl gestellt werden, die Wohnung zu kaufen oder sie aufgeben zu müssen, hätte ich, statt im Garten zu arbeiten, lieber eine bezahlte Arbeitsstelle angenommen. Der Makler bot uns kurz vor Weihnachten 1987 die Wohnung für DM 180 000.- an. Das ist natürlich längst nicht der ganze Preis. Bald wird es weiter gehen, mit Reparaturen im Treppenhaus, auf dem Dach, Leitungen, Tore zur Straße und zum Hof usw. Wir müssten in unserem Alter, beträchtliche Schulden machen. Wir sagten also nein danke zum Kauf und wollten die vom Gesetz vorgeschriebenen 4 Jahre Frist mit dem Auszug abwarten. Inzwischen würde mein Mann Rentner sein und für den Umzug genug Zeit haben.
An einem sonnigen Frühlingstag 1988 lief Hedwig ums Haus und schaute interessiert nach oben. Da mir diese ewigen Besichtigungen langsam auf die Nerven gingen, lud ich sie ein, sich die Wohnung anzusehen. Im Grunde wollte ich Gewissheit. Wer kauft sie und werden wir drin bleiben können. Hedwig war Jahrgang 1919, klein, hatte lange strähnige Haare und nur einen einzigen Zahn im Mund. Aber immerhin gut gekleidet und anscheinend auch viel Geld auf der Bank. Sie wohne in der Nähe, sagte sie mir, im 4. Stock und würde im Alter lieber eine tiefer gelegene Wohnung suchen. Sie war so total begeistert, wie jede Ecke ausgenützt war und wie schön alles aussah. Die helle Sonne strahlte mit Hedwig um die Wette und ich schickte sie zu der Immobilienfirma, die wegen unlauteren Machenschaften mehrere Male in der Tageszeitung stand. Diese schlauen Füchse brachten es ganz leicht fertig, unser spätes Mädchen zum Unterschreiben zu bringen. Sie kam dann noch einmal am nächsten Tag und erzählte es mir. Sie sagte, sie habe es fest vor, hier einzuziehen, würde sich aber in Geduld fassen, bis 1992 So war es auch. 3 Jahre hatten wir absolute Ruhe, keine Mieterhöhung, keine noch so kleine Verstimmung. Am 11.2.1992 bekamen wir die Kündigung auf Eigenbedarf. Es kam dann immer mal wieder ein Anruf: „Da isch widr ne Wohnung läär!" Einmal über einer Gaststätte, dann wieder eine neben der Kirche im 4. Stock. Die Glocken hätten uns alle viertel Stunden gemahnt und die nächste neben einer Ampel auf einer Hauptstraße. Ich bin überall hingegangen und war heilfroh, dass ich keine Chance hatte. Wir bemühten uns wirklich. Zu unserem großen Glück, waren 6 Jahre vergangen, seit ich mich in der Siedlungsgesellschaft habe eintragen lassen. So konnten wir getrost die überteuerten Mieten und die völlig unzumutbaren Wohnungen ausschlagen. Es geschah das Wunder, wir fanden eine schöne, leider nur 2 Zimmerwohnung, im 8. Stock eines Hochhauses mit einem 4m langen Südbalkon, deren Miete auch noch bezahlbar war und eine wunderschöne Sicht auf das Neckartal bot. Rechts fließt der Neckar und links schauen wir in die Weinberge.
Unsere Tochter mit Familie wohnte in der Nähe, das war für uns auch noch eine glückliche Fügung. Dass der Arbeitsplatz meines Schwiegersohnes nach 3 Jahren nach Sindelfingen verlegt wurde, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand wissen. Wir freuten uns mächtig und dachten Hedwig würde sich auch freuen. Aber Hedwig freute sich nicht, nein, sie will gar nicht, dass wir ausziehen, sie habe uns doch nur pro Forma gekündigt. Wir fallen aus allen Wolken. Sie meint, es wäre möglich, sie verkauft die Wohnung im Sommer 93, da könnten wir viel-leicht drin wohnen bleiben und wenn nicht, wäre die 4 Jahresfrist abgelaufen. Leider hat jetzt noch die Bank die Hand drauf und überhaupt hätte sie noch ein Mal geerbt und könne sich sicher etwas besseren kaufen. Nein Hedwig ist sehr enttäuscht. Aber ein Trost bleibt ihr, bis März 93 müssen wir an sie ja noch Miete bezahlen, das sei Gesetz. Hedwig will alles schöne Eingebaute übernehmen und fragt uns, was es kosten soll. Wir machen einen Freundschaftspreis von DM 2 500.- mit Gardinen und Gardinenstangen. Hedwig ist begeistert, „es isch ja älles so schee!" In unserem Mitvertrag steht, wir können eine dreimonatige Kündigung in Anspruch nehmen. Wir tun das. Hedwig ist entsetzt. Aber es ist rechtens. Nun kam Hedwig auf die gute Idee, sie habe ja schon alles der Immobilienfirma bezahlt.
Wie gesehen so gekauft! DM 12 000.- habe sie dafür mehr bezahlt. Da waren wir doch wirklich zu billig nicht? Wir wunderten uns nur, dass Hedwig nicht auch unsere Möbel beanspruchte. Die hatte sie doch auch gesehen, also auch gekauft? Nein Hedwig war großzügig, die Möbel dürfen wir mitnehmen. Zum Schluss schrieb sie uns sichtlich verärgert. Macht alles weg, auch die Platten an der Wohnzimmerdecke, aber alle Löcher müssen zu sein. Das haben wir nun gründlich und ordentlich, wenn auch mit Zähneknirschen gemacht. Mein Mann machte alle Holzteile weg. Ich löste alle Tapeten und das Styropor von den Wänden, zog Nägel heraus und schmierte alle Löcher zu. Es war eine Mordsarbeit. Leiter rauf - Leiter runter.
Am meisten weh tat es uns, die schönen hellen Deckenplatten im Wohnzimmer zu entfernen, die jeder immer bewundert hatte. Die Decke darunter hatte noch vom Krieg etliche Risse. Wir schliefen damals schon im neuen Heim und wenn wir mit der Arbeit fertig waren, ging so nebenher der Umzug weiter. Dort alles einladen und hier alles nach oben bringen. Wie schön wir hatten 2 Aufzüge. Aber spät gingen wir todmüde schlafen und am nächsten Tag das gleiche wieder von vorn. Als unsere Lieblingsfrau, diese ihre nackte Wohnung sah, beklagte sie sich schriftlich bitter über den desolaten Zustand der Räume. Sogar die Deckenplatten hätten wir weggemacht! Das nun, hatten wir ja schwarz auf weiß. Es stellte sich heraus, dass wir sie völlig missverstanden hatten. Sie meinte den Stuck der in 3 Stufen um unsere Platten lief und der eigentlich sehr schön anzusehen war. Er war nun als einziger übrig geblieben. Wir übergaben den Schlüssel und siedelten um.
Nun war dieser Umzug nicht so gelaufen, wie bei den meisten Menschen. Da kommt ein Möbelwagen ladet hier alles auf und dort alles ab und in wenigen Wochen hat alles wieder seinen Platz. Wir hatten ja nur Wohnzimmermöbel, Küche und Schlafzimmer bestand nur aus Brettern, Leisten und Schrauben. Wir hatten uns in der neuen Wohnung, in der wir hoffen unseren Lebensabend zu beschließen einige Elektro- und Installationsarbeiten, sowie Erneuerungen geleistet. Alles selbst tapeziert und mein Lieber Holzwurm konnte sich nicht von all den Brettern trennen. So begann im Bad, im Flur, in der kleinen Kammer und im Schlafzimmer das Spielchen von neuem. Zuerst schlug er Regale auf, in die alles lose hineingelegt wurde. Dann machte er den Raum, in dem wir eigentlich hätten schlafen sollen zur Tischlerwerkstatt. Die Matratzen stellte ich hochkant vor die Couch im Wohnzimmer, auf der die Betten eingebaut waren. Zugedeckt mit einer schönen Tagesdecke sah es dennoch wohnlich aus. In der Nacht wurde alles zum Schlafen auf den Boden gelegt. Anderthalb Jahre ging das so. Immer wieder hörte ich, wir hätten viel zu viele unnötige Sachen und wenn ich nicht aufpasste, verschwand einiges im Müll. So habe ich ein Paar Wanderschuhe und 3 Paar gute, elegante Schuhe aus dem Container wieder heraus gefischt. „Du brauchst sie doch nicht mehr", meinte er. Ich erinnere mich, dass ich ihn anschrie, „wenn ich eine Pistole hätte, würde ich dich erschießen!" Nachbarn, die dazu kamen, fanden das sehr lustig. Natürlich die gute Garderobe war irgendwo vergraben im Chaos und um das Chaos möglich klein zu halten räumte mein ordnungsliebender Mann ständig auf. Wenn ich mir etwas hinstellte und es nicht gleich versorgte, schwups, war es weg. Dadurch war ich ständig am Suchen und meistens war er nicht greifbar, um ihn zu fragen, „wo hast du mir denn das wieder hin geräumt?" Wie ich bedauerte, keine ausreichende eigene Rente zu haben, sofort und auf der Stelle hätte ich ihn verlassen. Es war eine schlimme aufregende Zeit. Nur gut, dass ich für mein jahrelang' Angespartes Taschengeld eine Einbauküche kauften konnte. Sonst wären wohl Teller Tassen und Töpfe auch solange herumgestanden, bis er endlich Zeit zum Einbau der Küche gefunden hätte! Eines Tages rief Hedwig an, sie möchte nun doch nicht selbst in die Wohnung ziehen, ob wir nicht noch einmal mit ihr reden könnten. Mein Mann ging hin und kam mit DM 2350.- zurück. Sie wusste, dass sie uns den Umzug bezahlen musste, wenn sie verkaufen wollte. So zahlte sie letztlich fast das gleiche für nichts. Trotzdem stand die Wohnung noch ein ganzes Jahr leer. Am Ende hat sie nicht einmal ein Geschäft gemacht und nur wenig mehr verlangt, für die bereits entstandenen Reparaturen. Inzwischen sind normale Zeiten eingekehrt. ich bin auch mit meinem „Holzwurm" wieder einig. Alles ist fertig eingebaut, die vielen Nut und Federbretter verschönern Bad, Kammer und Flur. Aber im Großen und Ganzen hat uns dieses Geschehen 10 Jahre unseres Lebens, in denen man eigentlich noch ein wenig Lebenszeit genießen sollte, jede Freude genommen. Am meisten trauere ich meinem Garten nach. Hier in der näheren Umgegend gibt es einen Schrebergartenverein. Gleich bemühte ich mich um ein Grundstück, aber ab 60 Jahre alt, hieß es, nehmen sie niemanden mehr auf und ich werde ja bald 70. Natürlich vermisse ich die lieben Menschen in der Nachbarschaft, mit denen man fast 30 Jahre zusammengelebt hat.
Manches Mal denke ich, es ist wie eine zweite Vertreibung
Ein Jahr später! Unser halbes Kapital ging dabei drauf. Von dem Rest leisteten wir uns zur Belohnung ein schönes neues Auto und noch einmal einen neuen Wohnwagen. Wir machten Urlaub am Albsee bei Immenstadt im Allgäu, da bekamen wir die Nachricht unser bestelltes neues Auto ist abholbereit. Der Wohnwagen blieb auf dem Campingplatz und wir holten den neuen Wagen in Stuttgart ab. Den alten verkauften wir schnell und gut und fuhren zurück, um unseren Urlaub zu Ende zu bringen. Auf der Heimfahrt fuhren wir bei gutem Wetter mit dem neuen Gespann, beides noch keine 4 Wochen alt, auf der Autobahn mit etwa 88 Stunden km h. zurück.
Da sauste kurz vor Memmingen ein sehr großer, sehr hoher und viel zu schneller LKW viel zu nahe an uns vorbei und fegte uns fast von der Straße. Der Wohnwagen bekam eine leichte Schlagseite und schlingerte furchtbar. Er war nicht mehr zu lenken und riss uns an die Mittelplanke. Dort klinkte er sich aus und der 3 Wochen neue Mercedes mit den Fahrrädern auf dem Dach drehte sich um 180°, wollte sich überschlagen und im letzten Moment überlegte er es sich anders, Gott Lob denn ich saß oben, stellte er sich wieder auf seine 4 Räder und krachte hinten in den Wohnwagen hinein. Es war ein Wunder, wir haben nicht einmal einen blauen Flecken davon getragen. Mein „sparsamer" Mann hatte keine Vollkaskoversicherung abgeschlossen. 25 Jahre Gespannerfahrung und 40 Jahre unfallfrei, mir kann nichts passieren! Wir hatten einen Schaden von DM 6000.- am Caravan und 15000.- am Auto. Damit war auch unser letztes Kapital zu Ende und wir steckten sogar ein ganzes Jahr mit absoluter Schonkost und Verzicht auf jedes Vergnügen in den roten Zahlen. Der LKW war ganz schnell weg, wir haben ihn im Schreckmoment gar nicht wahrgenommen. Im Nu hatte sich ein Stau gebildet, nur weil die Menschen glotzen mussten und mit 30 km h. bei uns vorbei geschlichen sind. Obwohl wir ganz an der Mittelplanke standen gab es weiter hinten einen Auffahrunfall und die Polizei, die jemand per Autotelefon gerufen hatte, kam dann auch zu uns vor. Wir erzählten wie es war, aber sie glaubten uns nicht.
Der Freund und Helfer kassierte DM 75.- von uns für zu schnelles Fahren! Leider sind wir doch nicht schnell genug gefahren, sonst hätte uns der LKW ja nicht überholen können. Erwähnen möchte ich noch, dass gleich hilfsbereite Menschen ausgestiegen sind um ihre Hilfe anzubieten und zu fragen, ob wir irgendwo Schmerzen haben. Wir hatten Glück im Unglück, dass die Autobahn wenig befahren war und niemand in uns herein gefahren ist.
Wenigstens hatte ich aus Vorsorge einen ADAC Schutzbrief, so wurde der Caravan noch am selben Abend zu unserem Händler abgeschleppt und wir haben ihn am Tag darauf mit 2 Mal hin und herfahren ausgeräumt. Innen war alles heil geblieben, bis auf ein Glas im Kühlschrank. Der Inhalt 500g selbst gemachter Joghurt, sonst immer eingesperrt, nützte die Gelegenheit seiner Freiheit und verteilte sich im ganzen Wohnwagen in allen Ecken und an allen Kanten.
Nun sind wir wieder aus den roten Zahlen und zurückblickend: Viel gereist, viel gesehen, viel erlebt und dennoch, wir sind im Alter genau so arm wie am Anfang aller Tage. Nur gut, dass es jeden 1. des Monats Rente gibt.
Aber gesund und trotz allem guten Mutes bis zum Jahr 2005, da reichte ihm unsere alte Erde nicht mehr. Er wollte das Weltall bereisen und hat mich allein zurück gelassen!
Inzwischen ist es Frühling im Jahr 2008. 2 ½ Jahre ohne ihn und erst jetzt merke ich wie sehr er mir fehlt. Aus meinem Manuskript „Lerge, Lerge das war eine Zeit“, ist ein Buch geworden, im Noel-Verlag erschienen und es gefällt den Leseratten.
Wie schön wäre es gewesen, ich hätte meine Freude darüber mit ihm teilen können und wir wären gemeinsam mit dem Wohnwagen zu Vorlesungen auch ins Allgäu gefahren, denn die Hälfte des Buches, dass die Zeit von 1925 bis 1948 erzählt, spielt sich im Allgäu ab.
Wichtig allein ist aber, das Gedenken an unser geliebtes Schlesien, unser Breslau und unser trauriges Schicksal bleibt der Nachwelt erhalten und erinnert an das Unrecht, das man uns zugefügt hat.